Kapstadt ist zu einem Corona-Hotspot erklärt worden. In den Armenvierteln verdunkelt sich die Lage. Hunger und Perspektivlosigkeit sind ständige Wegbegleiter.
„Die Lage in den Townships war bereits vor der Krise für viele schlecht und wird durch Corona fast unerträglich“, erzählt der deutsche Pfarrer Stefan Hippler von seinen Beobachtungen. Hunger und Perspektivlosigkeit seien gerade in der jetzigen Situation ganz schlechte Wegbegleiter für viele Menschen in den Armenvierteln. Der 60-Jährige agiert in seiner 2001 gegründeten Stiftung „HOPE Cape Town“, wo er zum Beispiel im Marketing sowie Fundraising unterwegs ist und inhaltliche Schwerpunkte der Hilfsorganisation mit seinen Mitarbeitern erarbeitet. Am Wochenende springt er bei Bedarf als Pfarrer ein und berät Menschen, die Hilfe brauchen. Seit über 20 Jahren lebt er in Kapstadt. Von 1997 bis 2009 war er Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde der Stadt. In den Jahren von 2009 bis 2014 betreute er als Donum-Fidei-Priester im Erzbistum Kapstadts den Aufgabenbereich HIV und AIDS. Die Stiftung des jetzigen „priest in resident“ kümmerte sich anfangs hauptsächlich um HIV-positive Menschen. Inzwischen hat sie aber auch andere Aufgaben übernommen und ist jetzt während der Corona-Krise ebenfalls vor Ort.
1. Wie arbeitet HOPE Cape Town?
Die Stiftung ist in den Bereichen Gesundheit, frühkindliche Entwicklung, Jugendarbeit, Schulvorbereitung, nachschulische Hausaufgaben, Suppenküche, Sozialarbeit, Ergotherapie und Bürgerkontakt tätig. Sie ist in den 18 Townships sowie in Tygerberg im Kinderkrankenhaus, Erwachsenenkrankenhaus, in der Krankenhaus-schule und an der Universität in Stellenbosch aktiv. Die hauptamtlichen Mitarbeiter, das sind Ärzte, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Ergotherapeuten, Xhosa-Lehrer und Gesundheitsarbeiterinnen, sind fest angestellt. Dazu kommen ehrenamtliche Volontäre aus unterschiedlichen Ländern wie den USA, Europa und Afrika.
2. Wie hat sich die Arbeit der Mitarbeiter durch die Corona-Krise verändert?
Sie gehen täglich zur Arbeit in den Kliniken, unterstützen bei HIV- und Tuberkulose-Tests und beraten Patienten. Sie klären jetzt eben auch über das neue Corona-Virus auf und helfen beim Testen. Sie kümmern sich um die täglich anfallenden Probleme und Sorgen der Patienten. Es kommen weniger Menschen in die Klinik, weil sie Angst vor dem Virus haben. Menschen hören, das sie sich in der Klinik anstecken. Momentan vermeiden viele die vermeintlichen Hotspots und werden von der Regierung auch gebeten, nur im Notfall die Klinik aufzusuchen. Das heißt auf der anderen Seite, dass viele Menschen ihre lebensnotwendigen Medikamente gegen den HI-Virus und gegen Tuberkulose nicht einnehmen.
Viele haben Angst, sich in der Klinik anzustecken.
3. Kommen gerade jetzt viele Menschen mit Problemen und Ängsten zu Ihnen?
In der heutigen Zeit gibt es viele Menschen, die Probleme und Ängste haben. Ich komme mit ihnen ins Gespräch und versuche erst einfach zuzuhören und vielleicht die ein oder andere Richtung aufzuzeigen. Es gibt kein Allgemeinrezept. Jeder Mensch ist anders und sieht auch seine Probleme anders.
4. Was sind die größten Probleme in den Townships und wie gehen die Menschen damit um?
Die Menschen in den Townships haben durch den Lockdown ihre Tages- und Wochenlöhne verloren. Sie sind nicht mehr in der Lage, ihre Familien zu ernähren. Die Hygienebedingungen sind sehr schlecht. Es gibt Fälle, da müssen sich bis zu 40 Menschen eine Toilette und einen Wasserhahn teilen. Es gibt keine Seife, Desinfektionsmittel oder Masken. Und jetzt, so kurz vor dem südafrikanischen Winter haben viele mit Erkältungen und anderen Krankheiten zu tun.
5. Und wie sieht es mit den finanziellen Mitteln aus?
Fast 30 Prozent der Population aus Südafrika lebt von staatlicher Hilfe. Die wird auch weiterhin bezahlt und beläuft sich auf umgerechnet 100 Euro für einen Rentner; das Kindergeld beträgt monatlich umgerechnet 23 Euro pro Kind. Eine beantragte Corona Soforthilfe von 18 Euro kommt in diesen Zeiten dazu. Die Regierung hat Gelder für Lebensmittelspenden für die Hungernden freigegeben. Ja, es gibt Unterstützung vom Staat, aber diese ist sehr gering und man kann nicht davon leben. Die Menschen, die noch Arbeit haben und nicht als „essential“, also systemrelevant eingestuft sind, arbeiten im Home Office. Viele haben ihre Arbeit verloren und viele mittelständische Betriebe mussten schließen.
Ich halte viele Maßnahmen in der jetzigen Form für unsinnig.
6. Wie ist es in den Krankenhäusern?
In den Krankenhäusern ist die Stimmung sehr angespannt. Viele Krankenschwestern und medizinisches Personal sind nicht genug über das Virus aufgeklärt und haben Angst. Das Krankenhaus in Tygerberg ist ein Hotspot. Drei Krankenschwestern sind da schon verstorben. Das Virus setzt das ohnehin schon gestresste und chronisch unterbesetzte medizinische Personal noch mehr unter Druck.
7. Gibt es Hilfen, die Sie über HOPE Cape Town zur Corona-Krise anbieten?
Unsere Projekte im Gemeindeprojekt – dem Township „Blikkiesdorp“ pausieren, aber aufgrund der wachsenden Not in der Bevölkerung hat HOPE Cape Town dort eine Suppenküche gegründet. Derzeit verteilen wir von Montag bis Freitag Frühstück und Mittagessen. Das sind bis zu 1.000 Mahlzeiten pro Tag.
8. Wie sehen weitere Unterstützungen der Menschen dort aus?
Sehr viele NGOs (Nichtregierungs-Organisationen), Firmen und Privatpersonen unterstützen vor allem die Suppenküchen in den Townships, um die Menschen mit Essen zu versorgen. Die Regierung hat ebenfalls Gelder freigegeben, um die Menschen zu unterstützen. Die lokale Regierung macht, was sie kann, kommt aber ohne unsere Unterstützung nicht aus. Das nationale Ministerium für Soziales hat versucht, die Essensausgabe von NGO’s per Gesetz zu kontrollieren und unmöglich zu machen. Dagegen wurde letzte Woche geklagt. HOPE Cape Town hat diese Klage mit einer eidesstattlichen Erklärung unterstützt und momentan gilt ein Interdikt bis zur Hauptverhandlung in der Sache.
Es gibt Überfälle auf Lebensmitteltransporter.
9. Sind die geforderten Maßnahmen umsetzbar?
Der ANC nutzt diese Krise für ihre Machtinteressen aus, viele Regeln sind nicht nachvollziehbar und sehr umstritten. Ich halte viele Maßnahmen in der jetzigen Form für unsinnig. Der momentane Lockdown hat viele Vorschriften, die in einem Township nicht umsetzbar sind. Wie wollen sie 1,50 Meter Abstand bewahren, wenn sie mit acht Leuten auf engstem Raum wie 3x6m wohnen?
10. Könnte sich die Lage noch verschlimmern?
Ja, das ist in der Tat möglich. Hunger und Perspektivlosigkeit sind ganz schlechte Lebensbegleiter. Die Lage in den Townships ist bereits für viele sehr schlecht und wird durch Corona fast unerträglich. Es gibt Überfälle auf Lebensmitteltransporter. Wir von HOPE Cape Town wechseln Autos, damit solche regelmäßigen Transporte nicht als solche erkennbar sind. Demonstrationen enden hier zumeist blutig – wir kennen das hier als „Service Delivery Protests“ – zumeist gehen Autos und Einrichtungen in Flammen auf, Infrastruktur wird zerstört, um der Wut und Ohnmacht Ausdruck zu verleihen.
Und was hoffen Sie?
Ich hoffe, dass die Welt aus der Krise lernt, die Umwelt mehr schützt, näher zusammenrückt und versucht, die Missstände weltweit gemeinsam zu verbessern. Hier in Südafrika brauchen wir bessere Bildung und Ausbildung, um das Land voranzubringen. Ich hoffe, dass wir Menschen wieder uns daran erinnern, das wir Teil eines großen Ganzen sind und nicht Herren der Schöpfung.
Heißer Tipp: Du möchtest dich sozial engagieren? Das kannst du über die HOPE Kapstadt Stiftung tun. Voraussetzung: Mindestalter 18 Jahre, gute Englischkenntnisse, ein Führungszeugnis. Darüber hinaus findet ein anspruchsvolles Auswahlverfahren im Skype-Interview statt. Weitere Informationen gibt es auf der HOPE Homepage.
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