ZDF-Auslandskorrespondentin Dr. Sandra Theiß berichtet über die Lage in Südafrika
„Ich habe mir schon immer gewünscht, eines Tages als Auslandskorrespondentin zu arbeiten“, sagt die Fernsehjournalistin Dr. Sandra Theiß. Die 44-jährige gebürtige Mainzerin hat 2003 in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt im Fach Filmwissenschaft promoviert und arbeitet seit 2004 beim ZDF. Die Leitung des ZDF-Auslandsstudios Johannesburg hat sie seit Januar 2018 inne. Dass sie ausgerechnet in Südafrika landete, sei reiner Zufall gewesen. Sie sei vorher noch nie in Südafrika gewesen, jetzt aber glücklich hier zu leben. „Mich fasziniert an dem Land die Vielfalt, kulturell wie auch in der Natur. Am meisten aber die Menschen. Ihre Herzlichkeit, die Stärke, Kraft und Lebensfreude, die einem oft an Orten begegnen, wo man es nicht erwarten würde“, sagt sie.
1. Wo sind Sie überall in Südafrika unterwegs?
Das ZDF-Studio Johannesburg ist für die Berichterstattung aus dem südlichen Afrika zuständig, das heißt Südafrika, Mosambik, Sambia, Malawi, Simbabwe, Botswana, Namibia, Angola, Lesotho und Swasiland, Mauritius, Madagaskar, Mayotte und die Komoren. Reisen können wir derzeit leider nicht bzw. nur innerhalb von Südafrika. In den meisten Ländern haben wir Stringer, also Freelancer, mit denen wir bei Bedarf zusammenarbeiten.
2. Was sind die Irrtümer über Südafrika und fühlen Sie sich im Land sicher?
Ich denke, dass es nicht unbedingt Irrtümer sind, sondern eher ein eingeschränkter Blick auf die Dinge: Ich glaube, viele Deutsche verbinden mit Südafrika zwei Dinge: die atemberaubende Natur – insbesondere die „Big Five“ – und die Kriminalität. Ich werde oft von Freunden und Bekannten gefragt, ob ich mich in Johannesburg sicher fühle, wo die Kriminalität doch so hoch sei. Natürlich gibt es Kriminalität, aber man muss halt auch schauen, unter welchen Umständen es zu welchen Vorfällen kommt. Ich lebe seit zweieinhalb Jahren hier und mir ist noch kein einziges Mal jemand feindselig begegnet.
3. Wie sieht Ihr Tagesablauf aus und woher bekommen Sie Ihre Informationen?
Der Tagesablauf hängt vom Programm ab. An manchen Tagen recherchieren wir, an anderen drehen und schneiden wir. Berichte in anderen Medien wie Zeitungen oder Fernsehen können eine Anregung sein, aber keine Quellen. Wir müssen die Informationen selbst verifizieren. In den Townships arbeiten wir oft mit NGOs (=Nichtregierungsorganisationen) zusammen, die Kontakt zu den Protagonisten herstellen. Manchmal fahren wir auch einfach raus und sprechen mit den Menschen vor Ort. Da ich keine lokale Sprache spreche, haben wir bei solchen Drehs immer unseren Producer dabei. Er ist Südafrikaner und spricht zahlreiche Sprachen des Landes.
4. Wie würden Sie die Lage im Land vor der Krise einschätzen?
Die wirtschaftliche Lage war schon vor der Corona-Krise schwierig. Präsident Ramaphosa hat in vielen Menschen Hoffnungen geweckt, dass die Korruption, die unter Zuma so verbreitet war, jetzt ein Ende findet, doch mittlerweile zeigt sich, dass man ein so korruptes System nicht so schnell ändern kann. Jetzt hat das Virus die Lage massiv verschlechtert.
5. Hat die Regierung richtig gehandelt?
Der Präsident hat sehr schnell und entschieden reagiert. Viel schneller als Regierungen in anderen – auch europäischen - Ländern, in denen die Lage aus dem Ruder gelaufen ist, weil zu spät reagiert wurde. Das war aus meiner Sicht richtig und gut. Die Frage ist, wie es jetzt weitergeht, wie schnell können welche Bereiche wieder geöffnet werden? Wann wird der Schaden für die Wirtschaft zu groß? Darf man Menschenleben gegen die Wirtschaft abwägen? Und was, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Lockdowns am Ende zu mehr Todesopfern führen, als das Virus selbst?
6. Wie schätzen Sie die medizinische Lage ein?
Das kann ich nicht. Für ein klares Bild müsste viel mehr getestet werden. Südafrika versucht, mit der Ausgangssperre Zeit zu gewinnen, das Gesundheitssystem aufzubauen, um bei steigenden Infektionszahlen die schweren Fälle versorgen zu können. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Sollte es Fallzahlen wie in Deutschland geben, wäre das System vermutlich überfordert.
7. Wie gehen Menschen aus unterschiedlichen Schichten damit um?
Was auffällt ist, dass sich in den Armenvierteln kaum einer an die Ausgangssperre hält. Social distancing ist dort ohnehin unmöglich. Natürlich sind die Menschen auf den Straßen. Viele machen sich weniger Sorgen um das Virus, als darüber, wie sie ihre Familie ernähren sollen. In den Armenvierteln wachsen Hunger und Verzweiflung. Die Oberschicht hat diese Sorgen nicht. In den wohlhabenden Gegenden halten sich die meisten Menschen an die Ausgangssperre. Es ist aber auch leicht, wenn ich Lebensmittel auf Vorrat kaufen und mich hinter eine Mauer zurückziehen kann.
8. Gibt es positive Dinge, die Sie während der Krise erleben?
Es gibt sehr viel Solidarität, Menschen, die für andere sammeln und spenden. Es gibt beispielsweise ein Projekt, wo Hotels Betten für Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen zur Verfügung stellen, damit die nicht so weit zu den Kliniken, in denen sie arbeiten, fahren müssen. Viele Menschen versuchen, in der Krise anderen zu helfen. Das finde ich toll.
9. Nehmen Sie emotionale Geschichten mit?
Wenn man in Deutschland aufgewachsen ist, ist die Armut, die man hier sieht, oft erschreckend. Manchmal macht mich die unfassbare Ungleichheit in dem Land traurig, manchmal wütend. Das Einzige, was mir bleibt, ist darüber zu berichten. Auf der anderen Seite begegne ich gerade in Krisen oft starken Menschen, die es schaffen trotz Krankheit und Armut, Hoffnung und Zuversicht aufzubringen. Oft sind es Frauen mit starken Persönlichkeiten. Aus den Begegnungen nehme ich viel mit.
10. Wie wirkt sich die Lage auf den Tourismus aus?
Der Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle für Südafrika. Meiner Ansicht nach ist und war das Land für Touristen sicher. Die Frage ist jetzt, wann sie wieder einreisen dürfen. Viel entscheidender sind die wirtschaftlichen Folgen. Denken Sie an die Lodges. Viele Angestellte kommen aus den Communities aus der Umgebung. Von dem Gehalt, das zum Beispiel ein Kellner oder Ranger verdient, werden oft ganze Familien ernährt. Das ist die eigentliche Katastrophe.
Heißer Tipp: Hier ist die Langfassung des ZDF Auslandsjournals zur Corona-Krise in Südafrika.
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