Die Geschichte des südafrikanischen Ex-Präsidenten Nelson Mandela und sein Kampf gegen die Apartheid erzählt die Autorin aus der Sicht eines 11-jährigen Jungen.
Knapp ein Jahr lang hat Dagmar Petrick recherchiert, um das Buch „Hendrik und der berühmteste Häftling der Welt“ zu schreiben.
„Ich habe dabei viel über Südafrika erfahren“, erzählt die 50-Jährige, die selbst noch nie da gewesen ist.
Ihre Quellen seien zahlreiche Bücher, diverse Filme und eine südafrikanische Freundin gewesen. Lange Jahre war die gebürtige Ludwigsburgerin als Filmkritikerin unterwegs und sah sich viele Filme an, was ihr aber durchaus Spaß gemacht hätte.
Irgendwann wollte sie ihre eigenen Geschichten verfassen, statt andere zu rezensieren. Jetzt schreibt Petrick für eine spezielle Reihe im christlichen Neukirchener Verlag Kinderbücher über Menschen, die etwas Besonderes geleistet haben. „Das ist für diese Altersgruppe einzigartig in der Verlagswelt“, sagt sie. Es geht um Nelson Mandela oder den schwarzen Botaniker George Washington Carver.
Beide mussten sich als Schwarze im Leben durchkämpfen. „Mir wurde plötzlich bewusst, was für ein Privileg es ist, als weiße Frau zu leben und dass es auch eine Form von positiver Diskriminierung geben kann“, erzählt sie und zitiert die US-Anti-Rassismus-Aktivistin Peggy McIntosh, die das als „unpacking the invisible knapsack“ (= Auspacken des unsichtbaren Rucksacks) beschreibt.
Um was geht es in „Hendrik und der berühmteste Häftling der Welt und was ist der 11-jährige Junge für ein Mensch?“
Das Buch spielt in Südafrika im Jahr 1982. Also während der Apartheid. Es geht um Hendrik, einen 11-jährigen Jungen, dessen Vater der Wächter des berühmten
Gefangenen Nelson Mandela ist. Als die Familie nach elf Jahren von der abgelegenen Gefängnisinsel Robben Island aufs Festland versetzt wird, weil Mandela ins Hochsicherheitsgefängnis Pollsmoor verlegt wird, lernt der Junge neue Menschen kennen. Durch diesen Menschen, vor allem auf seiner neuen Schule, erhält er neue Sichtweisen und Impulse auf Mandela und die Politik der Apartheid. Er fängt an, die Meinung seiner Eltern zu hinterfragen. Allmählich bröckeln bei ihm die Glaubenssätze der Ideologie.
Die Hauptperson Hendrik, aus deren Sicht die Handlung aus der Ich-Perspektive geschildert wird, ist ein sensibler und aufmerksamer Junge. Als er mit seinen Eltern aufs Festland zieht, ist es, als würde er aufwachen. Während er vorher eher naiv war, beginnt er jetzt, sein Elternhaus mit wachsamen Augen zu betrachten. Ermutigt durch die Berichte über Mandela, macht er jetzt selbst Sport und besucht sogar die schwarze Hausangestellte der Familie im Township, was sehr mutig ist.
Insofern ist Hendrik ein kleiner Held, der durch Mandela groß wird.
Hendriks Vater ist ein Mitläufer. Im Grunde glaubt er selbst nicht, dass er besser ist als die Schwarzen. Er hält das ungerechte System der Apartheid aber mit seiner Angst und seinem duckmäuserischen Gehorsam aufrecht. Er redet sich ein, er mache das für die Familie, dabei schadet er Hendrik damit am meisten.
Insofern ist Hendrik ein kleiner Held, der durch Mandela groß wird.
Wie bist Du auf das Thema Nelson Mandela gekommen?
Ich mache Vorschläge, aber auch der Verlag macht Vorschläge. Wenn ich mich für ein Thema entscheide, muss es passen, denn nicht zu jeder Persönlichkeit finde ich einen persönlichen Bezug. Das ist für mich beim Schreiben aber unabdingbar, vor allem, wenn es sich um ein längeres Projekt wie dieses handelt. Sonst halte ich es gar nicht durch. Ein Roman ist wie ein Marathon. Die innere Verbindung, die ich zum Stoff habe, ist der Motor, der mich am Laufen hält.
Mit Nelson Mandela verbindet mich schon sehr lange eine große Faszination. Als mein erster Sohn 1999 geboren wurde, las ich im Wochenbett Mandelas Biografie. Ich habe meinem Sohn den norwegischen Namen Frithjof gegeben. Das bedeutet wie Mandelas Stammesname „Rolihlahla“ soviel wie „Unruhestifter.
Wie hast Du für das Buch recherchiert?
Ich nähere mich den Büchern kreisend, das heißt, vor dem Schreiben steht das Lesen und Nachdenken. Ich las alles, was ich über Südafrika finden konnte,
Biografien, auch Reiseführer und ich habe Dokumentationen über das Land gesehen, über Nelson Mandela und die Sängerin Miriam Makeba, die im Buch auch erwähnt wird.
Ich bin zwar nicht nach Südafrika gereist, denn die Handlung spielt ja nicht im Heute, sondern in den Achtzigerjahren, die ich sowieso nicht mehr hätte erleben können. Deshalb habe ich ausgiebige Gespräche mit meiner südafrikanischen Freundin geführt. Anne ist das Kind deutscher Eltern, die schon vor langer Zeit nach Südafrika ausgewandert sind. Sie ist während der Apartheid dort geboren und in den Achtzigerjahren aufgewachsen, also wie die Hauptperson Hendrik. Sie hat verschiedene Milieus kennengelernt. Ihre Eltern hatten auch ein schwarzes Hausmädchen. Sie spricht Afrikaans, was mir beim Schreiben sehr nützlich war.
Du hast ja auch über den schwarzen Botaniker George Washington Carver geschrieben, der ebenfalls in einer weißen Gesellschaft sehr viele Hürden überwinden musste. Welche Gemeinsamkeiten oder Parallelen gibt es zu Nelson Mandela?
In meinem vorherigen Buch „Ein Professor für die Erdnuss“ in dieser Reihe des Verlags, geht es um George Washington Carver, der während des amerikanischen
Bürgerkriegs noch als Sklave geboren wurde. Obwohl es für Schwarze zunächst nicht erlaubt war, die Schule zu besuchen, schaffte er es, Kunst, dann Landwirtschaft zu studieren und zu forschen. Schließlich führte er den Erdnussanbau in den USA ein. Aus dieser Pflanze kann man viel machen, zudem gibt sie dem Ackerboden Nährstoffe zurück. Ähnlich wie Nelson Mandela musste Carver aufgrund seiner Hautfarbe gegen bestehende Ungerechtigkeiten ankämpfen. Beide Männer ließen sich von den Widrigkeiten und Hindernissen, die ihnen in den Weg gelegt wurden, nicht abbringen, andere Menschen mit ihrem Wissen und Taten zu unterstützen.
Welche Botschaft hat das Buch „Hendrik und der berühmteste Häftling der Welt?“
Es sollte ein Buch für junge Menschen werden und die brauchen jugendliche
Identifikationsfiguren. Deshalb der jugendliche Protagonist Hendrik. Er steht auf der Schwelle zum Erwachsenwerden. Da fängt man schon mal an, Dinge zu hinterfragen, ob das denn so stimmt, was einem die Erwachsenen als gegeben vorsetzen.
Hendrik sollte den jungen Lesern nachvollziehbar machen, was Mandela bewirkt hat. Der spätere Staatschef zielte auf Versöhnung, Gleichberechtigung und eine friedvolle Regenbogennation, dafür hat er den Weg geebnet.
Für Hendrik ist es nicht leicht, seinen Kopf zu gebrauchen und sich mit seiner neuen Denkweise gegen die eigene Familie zu stellen. Insofern ist das Buch auch ein Appell, sich seine Meinung zu bilden und von vorgegebenen Glaubenssätzen abzuweichen.
Hättest Du gerne noch mehr und genauer über die Apartheid geschrieben und welche Meinung hast Du über Nelson Mandela selbst?
An manchmal Stellen hätte ich die Grausamkeit der Apartheid noch eindringlicher beschreiben wollen, aber es sollte schließlich ein Kinderbuch werden und auch meine Lektorin ist vor mancher allzu drastischen Passage zurückgeschreckt. Trotz-dem habe ich viele Glaubenssätze aufgenommen, die die damalige Zeit spiegeln.
Ich mochte Mandela sehr. Er hat diese heldenhafte Seite und zugleich eine zugängliche und menschliche. Er ist Volksheld und Familienvater in einem. Obwohl sich der ANC seit dem Ende seiner Amtszeit stark verändert hat, bliebt dieser Mann eine ungeheuer inspirierende Erscheinung. In Südafrika ehrt man ihn bis heute, Straßen tragen seinen Namen und sein Gesicht ziert die Geldscheine. Wenn ich Mandelas breites Grinsen sehe, muss ich selbst lächeln.
Was bedeutet das Schreiben für Dich und hast Du Vorbilder?
Ich glaube, am meisten fasziniert mich am Schreiben, dass ich dabei viel lerne. Wie jetzt bei „Hendrik und der berühmteste Häftling der Welt“. Dabei verbessere ich
immer mehr meinen Schreibstil und ordne meine Gedanken. Literarische Vorbilder habe ich viele wie Guus Kuijer, Mirjam Pressler und Sandra Cisneros.
Wenn ich Mandelas breites Grinsen sehe, muss ich selbst lächeln.
Ich beginne den Tag mit einer Tasse Kaffee und einem Stift in der Hand.
Dann kritzle alles in einen schlichten Collegeblock, und erst dann geht es an den PC.
Wenn ich joggen gehe, nehme ich mein Diktiergerät mit, falls mir ein guter Gedanke kommt. Die sind sonst schneller verschwunden, als man mit der Wimper zucken kann.
Ich habe bisher fünf Bücher veröffentlicht, aber als ich 2014 mein erstes Buch „Mit Gott im Kino“ zum ersten Mal in den Händen hielt, war das ein gutes Gefühl. Ich habe mich mehrfach gefragt, ob ich das wirklich geschrieben habe.
Welche Rückmeldungen hast Du zu „Hendrik und der berühmteste Häftling der Welt“ bekommen?
Meine südafrikanische Freundin Anne versicherte mir, dass sie sich beim Lesen in ihre Kindheit zurückversetzt gefühlt hat. Das ist für mich schon das schönste Lob, das ich bekommen kann. Darüber hinaus gab es durchweg positive Kritiken.
Sarah Vecera, Bildungsreferentin der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) und selbst Schwarze Deutsche, sagte dazu, dass uns hier ein Junge auf eine Reise mitnehme, auf der er lerne, rassismuskritisch zu denken. Manche Weißen würden dies, wenn überhaupt, erst später im Leben lernen. Hendrik könne ein Vorbild für andere sein.
Und manche Eltern und Lehrerinnen, die das Buch gelesen haben, würden
empfehlen, es als Klassenlektüre zum Thema „Rassismus und Diskriminierung“ aufzunehmen.
Welche Einschätzungen hast Du über Kapstadt bzw. Südafrika?
Südafrika, wohin ich gerne geflogen wäre, was aber Corona-bedingt nicht ging, ist für mich ein Land mit einer reichen wechselvollen Geschichte. Denke ich daran, sehe ich weniger die Nationalparks mit ihrer umwerfenden Schönheit vor mir, als die Menschen, die mir durch meine Arbeit am Buch nahegekommen sind. Dieses Land bedeutet mir viel, obwohl ich noch nie dagewesen bin. In Kapstadt würde ich mir im Company´s Garden den Birnbaum von Jan van Riebeeck ansehen und nach Robben Island fahren, um Mandelas Zelle zu sehen und herauszufinden, ob es mir dann tatsächlich so geht, wie ich es mir beim Schreiben vorgestellt habe.
Welches Projekt steht als nächstes an? Diesmal geht es in der Reihe „Kinder entdecken spannende Persönlichkeiten“
endlich um eine Frau, und zwar um Helen Keller, die im 19. Jahrhundert in den USA geboren wurde. Ihre Eltern besaßen noch Sklaven. Die amerikanische Schriftstellerin setzte sich Zeit ihres Lebens gegen jede Form von Ungerechtigkeit ein. Sie
unterstützte die Rechte der Afroamerikaner, von Frauen und Behinderten. Die Themen Rassismus und Diskriminierung begleiten mich in meinen Büchern weiterhin.
Heißer Tipp: Die Südafrikaner feiern am 27. April den sogenannten Freedom-Day. An diesem Tag wurden im Jahr 1994 die ersten demokratischen und freien Wahlen abgehalten. Auch die schwarze Bevölkerung durfte ungeachtet ihrer Herkunft und Hautfarbe ab 18 Jahren wählen. Mit der Wahl Nelson Mandelas zum ersten
schwarzen Präsidenten wurde endgültig die Apartheid abgeschafft. Hier liest Du mehr zu den Feiertagen in Südafrika.
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