Auslandskorrespondentin Cristina Karrer dreht Dokus über Afrika. Sie hat u.a. die wahre Geschichte der weltweit ersten Herztransplantation von Christiaan Barnard geschildert.
Es gibt beinah kein Land in Afrika, dass die Schweizer Journalistin Cristina Karrer in den letzten zwanzig Jahren, die sie nun schon in Südafrika lebt, noch nicht bereist hat. In dieser Zeit hat die SRF-Korrespondentin brenzliche Situationen während des Bürgerkriegs im Somalia erlebt, war bei magischen Ritualen im Senegal dabei und hat eine Woche lang in einem Kriegsflüchtlingslager in Kenia verbracht.
Im Jahr 2000 ist die heute 59-Jährige mit einem Containerschiff von Marseille nach Kapstadt gereist und von dort weiter nach Johannesburg, wo sie bis heute lebt. Vier Wochen lang war sie unterwegs.
Bewusst hat sich die Filmemacherin gegen das Flugzeug und für das Schiff entschieden, um die Dimension der langen Strecke wahrzunehmen. Für sie war Afrika absolutes Neuland und die Chance, sich auf das Abenteuer eines neuen Kontinents einlassen.
Heute dreht und schneidet sie ihre Filme in Eigenregie selber.
1. Was hat Dich damals nach Südafrika verschlagen und welchen Eindruck macht das Land auf Dich?
Ich habe immer schon gerne geschrieben und bin eher zufällig zum Fernsehen gekommen. Ich schrieb im Nordirak für eine internationale Nachrichtenagentur. Dort wurde ein Redakteur vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) auf mich aufmerksam. Ich konnte dann dort zwei Monate in einer Redaktion mitarbeiten und mir gefiel die Teamarbeit und der Aspekt mit Bildern und Texten zu arbeiten. Als dann 1999 in Südafrika eine freie Korrespondentin kündigte, hat sich die Gelegenheit ergeben, nach Südafrika zu gehen. Als ich 2000 nach Südafrika kam, kannte ich das Land vorher noch nicht. Damals galt Johannesburg als die gefährlichste Stadt der Welt. Aber das hat mich nicht abgeschreckt. Mein erster Eindruck war, dass es trotz der Abschaffung der Apartheid immer noch ein geteiltes Land war – arm und reich – und Schwarz und Weiß - ist. Das ist rein optisch bis heute so geblieben. Vor den Städten auf dem Land die Townships und in den Städten die besseren Häuser mit einem grünen Stadtkern.
Südafrika ist einfach ein wunderschönes Land – so vielfältig und schwierig zugleich
2. Wusstest Du schon, wie lange Du bleiben willst und was haben Freunde dazu gesagt?
Meine Freunde und Verwandte waren nicht erstaunt, dass ich nach Südafrika ziehe, da ich schon vorher ständig weg war, z.B. von 1991 bis 1996 im Nordirak. Sie freuten sich, mich besuchen zu können, vor allem meine Mutter. Und ich plane eigentlich nie, wie lange ich wo bleibe. Nach der Trennung von meinem Mann, der damals mit mir mitgekommen ist, wollte ich nicht wieder zurück in die Schweiz gehen und bin dann einfach geblieben. Vor Corona bin ich so vier bis fünfmal im Jahr in die Schweiz geflogen. Jetzt geht das natürlich nicht. Am meisten vermisse ich hier meine Freunde, meine Mutter und den Züricher See.
3. Wie genau arbeitest Du als Filmemacherin?
In den letzten zwanzig Jahren habe ich so ungefähr 40 bis 50 Reportagen und Dokumentationen über Südafrika gemacht. Mich interessieren vor allem
gesellschaftliche Themen. Und so gab es beispielsweise Filme über das traditionelle Wissen über den Rooibos oder die verschiedenen Seiten von Kapstadt. Natürlich ist ein gutes Netzwerk dabei wichtig. Seit zehn Jahren arbeite ich nun von zu Hause aus. Ich mache alles selbst – drehen und schneiden. Und ich habe eine schwarze Produzentin. Ich arbeite nicht 100-prozentig nur für den SRF, sondern auch für die Züricher Zeitung (NZZ) und produziere drei Dokumentationsfilme pro Jahr. Das ist für mich super, denn so konnte ich wieder in Länder außerhalb von Afrika reisen. In Afrika lässt sich vieles nur bedingt organisieren, vieles ist unbekannt und das bedeutet, man braucht Improvisationsfähigkeit.
4. Gab es Erlebnisse in deiner beruflichen Laufbahn, die Du nie vergessen wirst?
Ja, ich habe eine Woche lang in Dadaab, einem Flüchtlingslager in Kenia gelebt. Das waren sehr eindrückliche Erlebnisse dort für mich. Ich lebte in einem Zelt von Ärzte ohne Grenzen und lernte Menschen kennen, die in diesem Lager geboren wurden. Die Perspektivenlosigkeit stimmte mich sehr traurig und die schiere Masse, rund eine halbe Million Flüchtlinge, war sehr erdrückend. Ein anderes wirklich unvergessliches Erlebnis hatte ich vor Jahren mal in Malawi. Dort schlief ich mit drei einheimischen Frauen in einem Zimmer. Mitten in der Nacht weckte mich eine der Frauen und erklärte mir, dass da ein Geist durch den Kamin gestiegen sei. Daraufhin sind alle drei Frauen aus Angst zu mir ins Bett gekrochen. In Malawi sind die Leute generell sehr abergläubisch. Für mich als Europäerin sind manche Rituale seltsam, wie zum Beispiel eben auch die Magie und damit verbunden die Vorstellung, dass alles was nicht klappt im Leben mit einem Fluch zu tun hat.
5. Du warst ja auch mal bei einem südafrikanischen Stamm. Wie war das für Dich?
Ich war mehrmals vor einigen Jahren bei den Zulu irgendwo in der Provinz Kwazulu Natl, wo ich einen sogenannten Jungfrauen-Tanz gefilmt haben. Dabei wurden junge Mädchen von alten Frauen getestet, ob sie noch Jungfrauen sind, in dem sie ihnen ihre Finger in die Vagina steckten und nachspürten, ob das Jungfernhäutchen intakt ist oder nicht. Furchtbar. Das war sogar für mich eher seltsam. Und am Ostkap gibt es einige Häuptlinge, die schräg drauf sind. Sie leben einerseits die Tradition, andererseits die moderne Lebensweise. Aber man darf sich so einen Stamm nicht altmodisch vorstellen, auch wenn die Menschen dort vielerorts noch in runden Strohhütten leben. Sie haben inzwischen auch Handys und leben nicht wie im Mittelalter. Viele junge Leute migrieren allerdings in größere Städte wie Kapstadt, weil es dort Arbeit und Infrastruktur gibt.
Johannesburg ist das Wirtschaftszentrum, das Tempo ist merklich schneller als in Kapstadt.
6. Wie geht’s Du mit Gefahrensituationen um? Hattest Du schon mal Angst?
Ja, es gab schon mal brenzliche Situationen. In Kinshasa, der Hauptstadt Kongos, war das Drehen sehr schwierig. Die Menschen dort sind aggressiv und es ist generell ein heikles Pflaster. Ich hatte nie wirklich Angst. Ich habe eine gewisse Naivität. Ich halte mich natürlich wie in Somalia an die Vorschriften der Nichtregierungsorganisationen (NGOs), mit denen ich unterwegs bin. Ein gewisses Adrenalin ist schon vorhanden.
7. Was fasziniert Dich am meisten an Südafrika?
Südafrika ist einfach ein wunderschönes Land – so vielfältig und schwierig zugleich. Ein Land, dass in Bewegung und in dem vieles unklar ist. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und kümmere dabei nicht um die Hautfarbe. Es gibt hier viel Platz. Das ist toll und schön, doch gibt es auch viel Armut. Das ist schwierig und gleichzeitig ein Fakt auf der Welt.
8. Was sind die größten Unterschiede zwischen Europäern und Südafrikanern?
Den typischen Südafrikaner gibt es nicht. Aber was ich sagen kann ist, die Menschen hier sind gut im Überleben. Eine Kunst, die wir in Europa vergessen haben. Und die Menschen hier machen sich insgesamt weniger Stress und lassen alles langsamer angehen. Das Tempo hier ist viel langsamer als bei uns in Europa.
Ich hoffe, dass die Ungleichheiten in diesem Land sich verringern werden und eine Generation heranwächst, die nicht mehr nur auf die Unterstützung der Regierung wartet, sondern ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt.
9. Was ist so der größte Unterschied für Dich zwischen Johannesburg und Kapstadt und wieso ist Kapstadt für Touristen so faszinierend?
Kapstadt ist eine sehr getrennte Stadt mit arm und reich und die Kluft ist hier sehr groß. Aber natürlich ist die Stadt sehr beliebt bei den Touristen durch die vielen Restaurants, Strände, die Natur und den Wein. Sie wirkt sehr europäisch. In Johannesburg, wo ich lebe, ist es anders – viel härter, aber auch dynamischer und gemischter. Es gibt hier eine größere schwarze Mittelschicht und auch Reiche. Johannesburg ist das Wirtschaftszentrum, das Tempo ist merklich schneller als in Kapstadt.
10. Wie hast Du die Zeit des Lockdowns in Südafrika erlebt? Und hat die Regierung das deiner Meinung nach richtig gemacht?
Die Zeit war für mich schon komisch. Es hat sich wie in einer Blase angefühlt, da ich sonst ständig unterwegs war. Das Gute für mich war, dass ich das Land neu entdeckt habe. Ich bin von Johannesburg nach Kapstadt gefahren, weil keine Flüge gingen. Der Verkehr war gering. In Kapstadt habe ich während Corona Filme in den Townships gemacht, zum Beispiel wie schwer dort Social Distancing wegen der Enge ist, die Polizeigewalt und die Stigmatisierung allgemein.
Dann, dass der Tourismus durch den Lockdown in eine Krise gekommen ist und dass in dem Township Langa junge Männer während der Krise für andere gekocht haben oder das Menschen aufgrund der Corona-Angst ihre Medikamente für Tuberkulose oder HIV nicht mehr in den Krankenhäusern holen, weil sie befürchten, sich dort anzustecken.
Das gesamte Problem ist, dass Südafrika schon vor der Krise beinahe bankrott war und jetzt wird es Jahre dauern, bis es sich erholt.
Aber es könnte natürlich auch eine Chance für das Land sein, weil die ganze Welt davon getroffen ist. Das Land muss sich neu orientieren, beispielsweise muss sich der Tourismus mehr auf die Einheimischen konzentrieren. Und dann gibt es doch einige Leute, die während der Krise im Bereich digitale Sphäre innovativ waren, wie in Europa, mit z.B. Lieferdiensten etc. Und die Regierung muss nun ebenfalls beweisen, dass sie in der Tat Arbeitsplätze schaffen kann. Im internationalen Vergleich gilt Südafrika, was den Umgang mit Covid 19 anbelangt, als Vorbild. Wie das in einem Jahr aussieht, wird sich zeigen.
11. Und hat die Regierung da richtig gehandelt?
Rückblickend ist es schwierig für mich zu sagen, ob die Regierung da gut reagiert hat oder nicht. Die Realität in den Townships – Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, schien gar kein Thema zu sein. Aber dennoch vermutlich schon richtig reagiert, wobei der wirtschaftliche Preis dafür sehr hoch war und dass macht insgesamt schon Sorgen.
Ich hoffe, dass die Ungleichheiten in diesem Land sich verringern werden und eine Generation heranwächst, die nicht mehr nur auf die Unterstützung der Regierung wartet, sondern ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt. Einzelne Beispiele von Schicksalen gibt es sicherlich, wie im Township Langa, aber auch andere. Ich hoffe auch, dass es gerade in der Landwirtschaft mehr junge schwarze Bauern geben wird, die bereit sind hart zu arbeiten. Auch hier finden sich positive Beispiele.
Cristina Karrer drehte den Dokumentarfilm „Hidden Heart“ und schildert die wahre Geschichte der weltweit ersten Herztransplantation von Christiaan Barnard. Der Film war ab dem 23. Oktober 2008 auch in den deutschen Kinos zu sehen.
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